24/7: the human condition


Eine Gruppenausstellung des MAK

„I GOT UP“ [„Ich bin aufgestanden“] stempelte der japanische Künstler On Kawara auf eine Serie von Postkarten, die er zwischen 1968 und 1979 täglich unter Bekanntgabe der jeweiligen Uhrzeit an FreundInnen und KünstlerkollegInnen verschickte. Sein Tag begann mit dieser scheinbar unbedeutenden, selbstverständlichen Handlung, die nach außen getragen zugleich intim und politisch die „Conditio humana“ eines Menschenlebens bezeichnet: 24 Stunden am Tag, 7-mal in der Woche.   

In ihrem Hauptwerk Vita activa oder Vom tätigen Leben (1960; im englischen Original The Human Condition, 1958) beschreibt die Philosophin Hannah Arendt die Grundbedingungen menschlichen Lebens mit drei Begriffen, anhand derer das selbstverantwortliche aktive Mitwirken des Einzelnen an der Gesellschaft festgemacht werden kann: „Arbeit“, „Herstellen“ und „Handeln“ (labor, work, and action). Während Arendts Arbeitsbegriff jene (individuellen) Tätigkeiten subsumiert, die unmittelbar zur Erzeugung von (materiellen) Gütern notwendig sind, beschreibt sie das (inter-)aktive Handeln Sprache und Kommunikation – als das höchste Gut des Menschen.

Die Vita activa steht heute unter dem Zeichen der Unruhe und Rastlosigkeit – im immer schneller werdenden Rhythmus der „Non-Stop-Gesellschaft“ ist Zeit der bestimmende Faktor, und Zeit ist Geld. Die Leistungsgesellschaft des 21. Jahrhunderts hat die Schwelle zwischen Arbeit und Freizeit sowie Privatem und Öffentlichem lange überschritten und versucht noch, ihrer Erschöpfung mit Selbstoptimierung entgegenzuwirken. Im Gegensatz zu den Maßstäben der Chronobiologie und der „inneren Uhr“ von Mensch und Natur werden alle Aktivitäten durch die Gleichzeitigkeit von analogem und digitalem Erleben eins. Zwischen Ablenkung und Inspiration führt die fortschreitende Digitalisierung aller Lebensbereiche zur völligen Entgrenzung unserer Zeitwahrnehmung und Leistungsansprüche. Leben und Arbeit bringen dieselben Symptome zutage: Überforderung, Schlafmangel, den Druck der Verantwortung, den Verlust von Autonomie und Freiheit. 

Der Mensch steht im ständigen kreativen Austausch mit seiner Umwelt und ist mit der Aufnahme und Neuordnung von Bildern und Informationen – rund um die Uhr – Teil der „gesellschaftlichen Fabrik“, in der privates und öffentliches Handeln untrennbar verschmelzen. Im Spannungsfeld von Sehnsucht und Leistungsdruck, Identifikation und Widerstand sowie Anerkennung und Erschöpfung wird die Hilflosigkeit des arbeitenden Subjekts offenbar: Geprägt von der permanenten Anstrengung, die Balance von Körper und Geist, Träumen und Zielen zu erhalten, droht stets das Prekariat und der Makel, nicht in der Lage zu sein, die eigene Existenz umfassend zu sichern. Der Wert und die Bewertung von (unsichtbarer) menschlicher Arbeit stehen im Zentrum gesellschaftlicher Beurteilungsmechanismen; unser Tun wird an Schnelligkeit, Fehlerfreiheit und Effizienz, kurz der Mensch an der Maschine gemessen. Doch jene vielschichtigen Prozesse, die menschliche Entscheidungen und damit unsere Handlungsfähigkeit ausmachen, können nicht von künstlichen Intelligenzen übernommen werden. Das wirkliche Begehren ist die Selbstbestimmung, das eigene Leben, Umwelt und Gesellschaft aktiv und individuell zu gestalten. Das durch Kommunikation und Empathie geprägte Handeln (politisch und künstlerisch) entzieht sich in seiner Immaterialität einer definitiven Leistungsbewertung und erlangt den Status von Unvergänglichkeit, mit der sich der Mensch 24/7 in die kulturelle Narration des Anthropozäns, des Menschenzeitalters, einschreibt.  

Die Gruppenausstellung 24/7: the human condition inkludiert bestehende Arbeiten und Neuproduktionen von KünstlerInnen einer jüngeren Generation im Kontext der erweiterten Wiener Kunstszene und eröffnet ein breites Spektrum künstlerischer Auseinandersetzung mit den verschiedenen Aspekten eines kulturellen Arbeits- und Handlungsbegriffs.    

Teilnehmende KünstlerInnen
Ben Thorp Brown (New York)
Verena Dengler (Wien)
Carola Dertnig (Wien)
Harm van den Dorpel (Berlin)
Andreas Duscha (Wien)
Andreas Fogarasi (Wien)
Franz Graf (Wien)
Kathi Hofer (Wien)
Peter Jellitsch (Wien)
Lazar Lyutakov (Wien)
Mahony (Wien/Berlin)
Christian Mayer (Wien)
Ulrich Nausner (Wien)
Danica Phelps (New York)
Lili Reynaud-Dewar (Paris/Grenoble)
Valentin Ruhry (Wien)
Seth Weiner (Los Angeles/Wien)
Anna Witt (Wien)

Kuratorin
Marlies Wirth, MAK Kuratorin

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Datum
11.06. – 04.10.2015

Ort
MAK

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